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Sekundärliteratur zum Thema Jürgen Vogdt





Inhalt:

Play — eine Rede

Kartoffelfeuer
Rot Laura lag auf der Matratze,
auf dass man ihr die Haut abkratze
und sie darauf im Wasser koche.
Kartoffeln – das Rezept der Woche.
Knusprig gebraten die Celina
mit Reis und Hundeschwanz in China.
Agata, Agnes – ihre Schwestern
sind – sei’n wir ehrlich – Schnee von gestern.
Kartoffeln gibt’s von A bis Z
Alma, Zuri Oral – auch nett.
Die meisten haben Frauennamen.
Man weiß nicht, wie sie dazu kamen.
Manchmal gut Deutsch, manchmal exotisch -
der Züchter hofft, das klingt erotisch.
O Dagmar, Dalco, Dalia,
Schantal, Beate, Barbara,
oh, Marlies, Senta, Holy Momm,
macht, dass ich in den Himmel komm
und Petrus an der Türe seh’
mit einem Teller voll Püree.
Im Fegefeuer Gundula
und in der Hölle Kaviar.

In den letzten Tagen habe ich an die zehn Reden erfunden – habe an Ideen für Sagbares gefeilt. Wirft man die Gedanken in eine Redenzentrifuge und be¬ginnt mit der Rotation (dieses Bild stammt von Martin Walser), beginnen sich Partikel an der imaginären Wand des zu Sagenden abzusetzen. Zuerst die Leichtgewichte – später die Gedankenbrocken.
Das erste Wort an der Zentrifugenwand: Fallschirm. Eine Rede ist wie ein Fallschirm.  Man hofft auf die sichere Landung am Ende.
Position: Ich habe gelernt, dass in Bezug auf die bildende Kunst oft von Positionen gesprochen wird. Positionen sind für mich etwas, das bei Satellitennavigation herauskommt. Position meint eine Art Standpunkt.
Standpunkte können waffen¬scheinpflichtig sein. Sie dienen schlimmstenfalls zur Schubladi-sierung eines Ergebnisses. Schubladen sind nützlich, wenn nicht viel Zeit zum Nachdenken bleibt. Alles, was über den Rand hinausragt, kann abgeschnitten werden.
Steht man vor einer verglasten Zeichnung, ist der eigene Standpunkt der Wichtigste. Je nachdem, wie einer dasteht, sieht er sich selbst im Glasrahmen. Oder er sieht einen Raum auf der Gegenseite des Bildes. Oder aber das Bild selbst: Unverstellt. Unverspiegelt. Es zählt also der eigene Standpunkt. Die Devise: Selbstfindung im Bild. Ein Bild bleibt stumm, wenn du dich nicht darin findest. Wer nur andere im Bild sucht, macht wenig Erfahrung beim Hinsehen. Wer sich nicht einlässt, bleibt ausgegrenzt. Rutscht ab auf der äußeren Haut der Zwiebel. Was nottut ist eine gehörige Portion subjektiver Wahrnehmung. Ein Bild lebt nicht von der Bedeutung, die es für andere hat. Das Bild ist der, der es sich ansieht. Es muss nicht gefallen, aber sprechen muss es. Die Beziehung zu einem Bild, zu Literatur, Musik – die Beziehung zur Kunst, ist für mich eine Liebesbeziehung. Manchmal natürlich auch eine Hassbeziehung
Erwartung. Als Komponist habe ich oft erlebt, dass Menschen sich von moderner Musik allein gelassen fühlen. Das kann viele Gründe haben. Einer der häufigsten ist Folgender: Die Erwartung. Wenn ich Melodie erwarte und nur Klang bekomme, entsteht ein Un-gleichgewicht - eine Art von vor¬pro¬grammiertem Er¬wartungsvakuum. Kunst beansprucht nicht viel: Eine offene Annäherung ist das erste Gebot. Sonst ist der Blick verstellt – die Ohren sind verkleistert.
Geschichten: Es ist erstaunlich, was Geschichten oder Titel bewirken. Sie sind eine Art Inhaltsersatz. Man denkt einen Titel und muss das Eigentliche nicht mehr suchen. „Dance or die“ –  der Titel einer Zeichnung, die unmittelbar nach der Love-Parade-Katastrophe entstand. Der Titel erzeugt eine Spannung – taucht die Zeichnung in die Aura des Katastrophalen. Aber so viel steht fest: Die Zeichnung könnte auch mit einem anderen Titel bestehen – nur würde auf der inneren Leinwand des Betrachters ein anderes Nebenbild entstehen. Titel erzeugen Nebenbilder – Phantomtreppen ins Sehen.
Vogdt: Jürgen Vogdt war  mein erster lebender Künstler. Ich kroch aus dem Kulturgänseei und traf auf Vogdt. Er lehrte mich das Hinsehen, das Wegdenken. Er hat in mir den Habenwollengedanken installiert. Ich sah Bilder und wollte sie haben. Der Grund: Vogdts Bilder verstanden  mich. Sie kannten mich längst. Seitdem ist Vogdts Kunst Teil meiner Insel, die nicht immer die Insel der Seligen ist, denn es wäre zu wenig, wenn Kunst nur unser Wohlfühlen dekorieren würde.
Vogdt sagt: Meinen Bildern ist egal, wer sie gemalt hat. Vogdt sagt auch: Lesen ist ein Teil meiner Ernährung. Jeden Tag eine Zeichnung. Jede Woche mindestens ein Buch. Jede Stunde mindestens ein Widerspruch.
Oder: Zeichnen ist wie Klavierspielen. Du musst täglich üben.
Ich sage: Vogdt ist einer, den man  – gäbe es ihn nicht schon – erfinden müsste.
Lieblingsfarbe: Rot. Vogdt sagt: Das hat nichts zu bedeuten. Man kann das auch anders sehen.
Vogdts Titel sind Teil seiner Kunst. Nicht Teil einer Ge¬schichte. Vogdts Titel sind nicht wirklich Hilfestellungen. Sie deuten bestenfalls auf einen Entstehungsimpuls hin – sind aber eigentlich schon wieder eine Art Zweitkunstwerk fernab einer sinnvollen Erklärung. Manchmal sind sie eine Umleitung, die den Künstler vor sich und anderen schützt. Vogdts Zeich¬nungen: Innenansichten. „Zeichnen bringt Gehirn auf Papier.“
Vogdt ist ein Luftballon auf der Suche nach Stecknadeln: Zustechen. Luft raus. Abwarten. Er pumpt sich wieder auf. Ein Stehaufmännchen.
Nach außen. Innen arbeitet ein empfindlicher Seis¬mograph, der – abseits von der eigenen Erschütte¬rung – Schwingungen aufspürt.
Dass Vogdt hier und heute ausgestellt wird, hat mit Vergangenheiten zu tun – es hat zu tun mit der Tatsache, dass vor 30 Jahren Hans van der Grinten Vogdt ausstellte. Warum also nicht ein Wieder-Sehen installieren? Das war der Wunsch. Das, und eine höchst subjektive Freude an der Kunst von Jürgen Vogdt,  der auf die Frage, was für ein Gewächs er gern wäre, einmal sagte: „Kartoffel.“
Kartoffel.
Das trifft es. Überirdisch ungenießbares Gestrüpp, das bestenfalls zum Abbrennen taugt – unter der Erde die Knolle. Das Eigentliche. Wer zum Vogdt will, muss sich eingraben können. Muss hinter vordergründiger Leichtigkeit das Dunkel aushalten oder hinter vorgeschobener Düsternis ein ungeschütztes Leben. Über der Erde: Gestrüpp. Unter der Erde das Eigentliche.
Delikatesse unter Tage. Weiche Schale, harter Kern. Vogdt ist kein Herdentier. Auch als Hirte wär er wohl eine Fehlbesetzung. Vielleicht: Ein Wolf, mit dem keiner tanzt. Einer wie Vogdt ist unzumutbar. Am meisten für sich selbst. „Als Künstler bist du eine Art Insekt.“
Fehlt noch: Musik
Play - Dreizehn Szenen zur Kunst eines Freundfeindes, denn Vogdt ist mir beides. Die Musik – keine Illustration von Einzelnem, sondern klangliche Zusammenfassung eines Gesamteindrucks: Eine Rede in Klängen. Ein Fallschirm, der sich – hoffentlich - öffnet. Vogdt wäre nicht Vogdt, wenn er nicht seinerseits schon wieder auf die Klänge reagiert hätte. Die Frage nach Huhn und Ei dürfte gestellt werden und zu keinem Ergebnis führen, denn Vogdts 13 Blätter zu den 13 Szenen könnten genauso gut auch vor der Musik entstanden sein. Es würde nichts ändern – außer vielleicht die Eindrücke auf der inneren Hilfsleinwand von Titeln und Geschichten.
Vogdt hätte gern einiges aus meiner Sammlung zurück: Das Problem: Er kann es sich nicht leisten. Sammler sind grausam. „Fälsch dir einen Vogdt“, sage ich. „Dafür bin ich nicht gut genug“, sagt er. „Kauf dir einen Vogdt“, sage ich. „Kann ich mir nicht leisten“, sagt er. „Pech gehabt“, sage ich.


Play — Ausstellungstext

Play – Geschichte einer Ausstellung
Was sind schon dreißig Jahre, wenn Papier geduldig ist? Gibt es Zufälle? Was ist ein guter Grund? Im Museum Katharinenhof   Kranenburg findet sich ein Heft im DIN-A-4-Format. Es enthält – mit Schreibmaschine (ab)geschrieben – die Reden, die Hans van der Grinten zu Ausstellungs-eröffnungen hielt. Auf dem Einband steht: „Ansprachen – Ausstellungen – Katharinenhiof – Kranenburg“. Die zweite Rede wurde anlässlich der Ausstellung eines gewissen Jürgen Vogdt gehalten. Es war das Jahr 1980. Papier ist geduldig. Im letzten Jahr tauchten die Reden – es gibt keinen Zufall – plötzlich auf. Meine Frau brachte sie von einem Konzert im Museum mit. Sie hatte das Heft durchgeblättert und die „Vogdt-Rede“ gefunden.
Meine Damen und Herren!
„Play“ begann mit einem Satz: „Hier, guck mal. Das wird dich interessieren.“ Und ob es das tat. Jürgen Vogdts erste Ausstellung im Katharinenhof fand vor dreißig Jahren statt. (Papier ist geduldig.) Dreißig Jahre sind ein guter Grund zum Nachfragen.
… mit besonderem Nachdruck hingewiesen wird auf einen Künstler, der aus unserer Region stammt
Ja, lebt denn der noch und wenn ja wo. Die Regel: Ein Niederrheiner bewegt sich nicht weit. Die Region ist die Welt, und die Welt ist die Region. Vogdts Weg: Emmerich, Haldern, Labbeck. Das Umzugstriptichon. Es gibt keine Endstationen, aber man kann sich vorstellen: Vogdt wird – er ist sechzig – in Labbeck bleiben. („Auswandern kann ich nur, wenn ich hierbleibe.“) Die letzte Vogdt-Ausstellung liegt ein paar Jahre zurück. („Es hat sich nichts ergeben.“)
… Das ist einmal eine Folge der sicherlich klugen Zurückhaltung, der lieber eine deutliche Präsentation abwartet, als sich mit vielerlei Veranstaltung zu verzetteln …
 „Ich könnte doch mal in Kranenburg nachfragen. Dreißig Jahre sind ein guter Grund.“ „Das tu mal.“ So begann „Play“. Ich tat mal. Papier ist geduldig.
Man legt Spuren aus. Wer kennt wen? Wer könnte helfen? Jede Frage braucht den richtigen Augenblick; einen guten Grund; den richtigen Frager. Also: „Da hat vor dreißig Jahren mal einer ausgestellt bei euch. Der lebt noch. Der malt noch. Den sollte man mal wieder ausstellen. Der würde auch gern. Der friert sonst fest in seinem Atelier. Wie wär’s?“ Bedenkzeiten. Nicht nur Papier ist geduldig. Trotzdem: Irgendwann kommt eins zum anderen. „Ja, das könnten wir uns vorstellen.“ Mal hinfahren. Eine Atelierbesichtigung. Und dann: Man kann es sich vorstellen.
Die Papiere in den Schränken: Geduldig. Darauf haben sie gewartet. Jetzt werden sie geborgen. Eine Ausstellung entsteht. Es ist wie ein riesiges Puzzle. Das Kommando: „Play!“ Sehweisen. Sichtweisen. Standpunkte. Liegenschaften. Die Auswahl. X aus vierzigtausend: Play! Die Ausstellung: Ein fragiles Etwas ohne Anfang. Ohne Ende. Dann – beim Sichten der ersten Schublade – wie eine Botschaft aus dem Papier: Ein Blatt mit dem Titel „Play“. Vorher die Idee: „Jürgen Vogdt – dreißig Jahre in Blei“, oder „Frauen, Bücher, Wunden“. Dann nur noch das Einwortprojekt: „Play!“ Herrlich lapidar. Muss so  sein. Papier ist nicht geduldig. Dreißig Jahre sind keine Zeit. Vogdt produziert. Immer weiter.
Aber sie haben doch einen sehr direkten, manchmal erschreckend direkten Blickcharakter in die Tiefe der eigenen Persönlichkeit …
Vogdt malt Vogdt, auch, wenn er manchmal anderes denkt. Würde Vogdt nicht Vogdt malen, wär’s auch irgendwie lächerlich. „Meinen Bildern ist egal, wer sie gemalt hat.“ Den Bildern vielleicht. Allen anderen nicht.
Heiner Frost



Ich kenne mich nicht aus mit der Kunst – kann nur unzulänglich zuordnen oder einordnen – und bin nicht im Besitz eines allgemeingültigen Koordinatensystems. Kunst begann für mich mit Jürgen Vogdt. Immerhin: Sie endet nicht mit ihm. Aber: Vogdt stellt sich im Frostleben raumgreifend dar. Er stellt sich ein. Ich stelle ihn aus. Zu viel gesagt: Er stellt sich aus.
Die Sammlung: Ein Bild kommt zum anderen. Ich müsste längst umziehen. Ein Haus bauen mit Wänden ohne Fenster: Bilderplätze schaffen. Anbauen. Auch im Kopf. Mithalten. Schritt halten. Beobachten kommt nach dem Machen. Vogdt in zweiter Instanz.
Ich bin – behaupte ich – nicht mit kriminellen Tendenzen ausgestattet, tauge nicht zum Betrüger oder Hinterzieher. Vogdtkunst aber kann mich zum Dieb machen. Ich könnte auf einiges verzichten. Vogdt gehört nicht dazu. Mitunter habe ich Tauschobjekte anzubieten, die Geld überflüssig machen. Geld ist eine Form der simulierten Wertschätzung aus Notwehr. Falsch: Die Wertschätzung ist nicht simuliert. Notwehr ist es auch nicht. Geld ist also die Verschiebung der Wertschätzung auf eine andere Ebene. Von Bewunderung allein kann kein Künstler auf die Dauer leben. Vogdt malt. Frost komponiert. „Gibst du mir Bilder, mach ich dir Töne.“
Vogdt liebt Texte, die zur Sache kommen. Literatur ist nicht Erzählung. Nicht Bespiegelung. Bespiegelung ist Theorie. Zu wenig am Schund gebaut. Literatur ist für Vogdt eine Überlebensapotheke. Vogdts Hausbücherei: Türme von Krimis, Blut, Leichen, Abgründen. Meine Texte dagegen: TeDe. Typisch deutsch. Verquast. Um Ecken geschrieben. Trotzdem: Vogdt wünscht sich einen Frost-Text für die Ausstellung. Kein Problem, Jürgen. Kannst du haben. Ich schreibe wie ich denke, dass du malstzeichnesterfindest. Ist Vogdt Maler? Ist Vogdt Zeichner? Wer soll das bestimmen? Ich nicht. Vogdt ist mir Erfinder einer ästhetischen Welt, die sich aus ihrer Umwelt speist. Einer wie Vogdt atmet Leben ein und Kunst aus. Vogdts Kunst ist gemalt, gezeichnet, gedacht, geschrieben, verloren, verwundet, verwundert, verbrannt, vergessen. Zu klären ist die Frage: Reagiert Vogdt auf die Welt oder ist es umgekehrt? Beides wird stimmen. Es richtet sich nach der Tagesform. Nach dem Verschwinden im Denken. Manchmal wird Vogdtsches Denken auf dem Papier wiedergeboren. Vogdts Welt ist ein rotes Telefon: Denken und Handeln sind mit einer Standleitung verbunden. Niemand muss wählen.
Der Maler meiner Bilder ist unbequem – am meisten manchmal für sich selber. Vogdt sagt: „Meinen Bilder ist es egal, wer sie gemalt hat.“ Ende der Durchsage. Was Leute sich unter einem Text vorstellen, soll Ausdehnung haben – soll herauswachsen aus der Flachdimension des Geschriebenen. Buchstabenschmeicheleien sind meine Sache nicht. Ich liefere Wasserstandsmeldungen mit kurzer Halbwertzeit. Die Kunst an der Wand ist ein Spiel. Play! Ausstellungen sind eine Art Partitur. Es gibt kaum Eindeutiges: Nicht in Tönen. Nicht in Bildern. Nicht in Worten. Ein Höchstmaß an Objektivität ist nur mit radikaler Subjektivität zu erreichen. Das Reich der Kunst ist ein Reich der Diktatoren. Natürlich ist Wahrnehmung lernbar. Ich habe einiges vonbeidurchmit Vogdt gelernt. Trotzdem bin ich nicht mehr als ein Wahrnehmungspraktikant in der Grundausbildung des Sehens. Ich finde Vogdt in mir und mich in Vogdt. Vielleicht lasse ich Meisterwerke unbeachtet. Sie sprechen mich nicht an. Ohne Dialog keine Beziehung. Ich bin nicht auf der Suche nach Weltbildern.
Vogdt hätte gern einiges aus meiner Sammlung zurück: Das Problem: Er kann es sich nicht leisten. Sammler sind grausam. „Fälsch dir einen Vogdt“, sage ich. „Dafür bin ich nicht gut genug“, sagt er. „Kauf dir einen Vogdt“, sage ich. „Kann ich mir nicht leisten“, sagt er. „Pech gehabt“, sage ich.
Vogdt taugt nicht für den Markt. Er ist vielleicht zu fleißig. Wert entsteht aus Rarität. In Vogdts Kunstscheune lagern die Bilder und Zeichnungen zu Tausenden. Irgendwann – Zahlen spielen keine Rolle – brannte ihm das Lager aus. Frühvogdt gibt es seitdem nicht mehr. Das wäre also ein Ansatz: Frühvogdt als unbezahlbare Kunstrarität. Das Feuer hat kein Gedächtnis. Die Nachbrandzeit: Unverletzt erhalten. In Schubladen. Kisten. Schränken. Mappen. Die Kunstscheune ist so voll, als wäre das Feuer nie zu Besuch gewesen. Vogdts Leben besteht aus Ideen. Alles wird irgendwie zu Kunst. Klar, dass einer wie er auch in der Werbung landet. Sprücheklopfer, Logo-Erfinder, Kampagnen-Gestalter – nichts, was er nicht ist.
Die eigene Existenz täglich neu erfinden und dann dem Rest der Welt ihre Notwendigkeit sinnstiftend verkaufen. Ideenfarbriken funktionieren so. Es muss Hunderttausende geben, die die das Feuer legen. Am Ende schwimmen ein paar von ihnen oben. Haben es geschafft. Hat Vogdt es geschafft? Mal ja. Mal nein. Das Herbeten von biografischen  Erfolgssplittern ist wenig aussagekräftig. Vogdt muss sprechen: An der Wand. Wer sein Zeug erst erklären muss, hat verloren.
Malen ist Auseinandersetzung mit der Einsamkeit. Mit der Verzweiflung. Mit dem eigenen Kern. Mit dem Leben der anderen. Mit der Kunst der Welt. Mit dem Kühlschrank. Mit der Flasche. Mit der Wahrheit. Mit der Täuschung. Schenk dem Mann ein Buch mit Bildern. Er setzt sich hin und malt es ab.
Die Frage, was Vogdt ist und kann, entzieht sich meinem Zuständigkeitsbereich. Rutscht aus meinem Koordinatensystem. Ist er malender Zeichner oder zeichnender Maler? Ist er zu bunt? Zu großformatig? Zu kleinteilig? Zu verspielt? Zu streng? Ich bin sicher, er ist all das. Alles zu seiner Zeit. Vogdt ist einer, der leck geschlagen werden muss, damit er nicht platzt. Vogdt ist ein Luftballon auf der Suche nach Stecknadeln: Zustechen. Luft raus. Abwarten. Er pumpt sich wieder auf. Ein Stehaufmännchen. Nach außen. Innen arbeitet ein empfindlicher Seismograph, der – abseits von der eigenen Erschütterung – Schwingungen aufspürt.
Seit ich Vogdt kenne, klingt er. Er klingt anders als er glaubt. Er klingt manchmal auch anders als ich glaube. Vogdts Klänge sind nicht verschwenderisch. Vogdts Kunst in Tönen ist eine Melange aus Wahnsinn und Verschlafenheit. Zu jedem Bild gibt es einen Klang. Klänge sind transportierbar. Transponierbar. Mir ist jedes Bild ein Ton. Mir ist jedes Bild eine Rettung. Ich muss nicht nachdenken über diese Bilder. Ich muss sie nur aufsaugen. Sie sind wie Spieluhren, die schweigend daliegen und darauf warten, in Gang gesetzt zu werden. Aber die Spieluhren tauschen des Nachts ihre Töne aus und überraschen am nächsten Tag mit anderen Melodien. Die Töne wechseln. Die Elegie bleibt erhalten. 
Mit der Zeit habe ich einen kleinen Blick für die Geschichten und Symbole bekommen, die Vogdt erzählt. Vielleicht sollte ich besser sagen: Ich finde für Vieles eine Übersetzung. Eine Entsprechung in mir. Meist ist sie erfreulich weit vom Ursprung seines Denkens verortet. Das macht nichts. Es geht nicht um Konsens. Es geht um Koexistenz. Vielleicht auch nicht einmal darum. Es geht um den Hunger nach Farbe, Strich, Form. Satt werde ich wohl nie. Ein Leben ohne Bilder ist kein Leben.
Vogdt spricht: Jeden Tag eine Zeichnung. Jede Woche mindestens ein Buch. (Lesen gehört zur Ernährung.) Jede Stunde mindestens ein Widerspruch. Malen ist ein einsames Geschäft. Für die große Masse der Kunstschaffenden bleibt am Ende vom einsamen Geschäft bestenfalls die Einsamkeit. Die vogdt'sche Lesart von Gedankenübertragung: „Zeichnen bringt das Gehirn aufs Pa¬pier.“  Vogdts Linien: Grenzlinien. Gedankenstriche. Seine Kunst: Der Versuch einer Emigration ins Eigene.  „Auswandern kann ich doch nur, wenn ich hier bleibe.“ Vogdt ist einer von denen, die, gäbe es sie nicht schon, erfunden werden müssten.
Fragen nach der Kunst stellt man besser nicht. Kunst ist Phantasie im organisierten Zustand. Und die Inspiration? Lesen. Am liebsten amerikanische Krimis. „Erzählung pur und keine Literaturversuche.“ Sagt ein bekennender Joyce-Fan. Na denn: Kein Ding kann ohne sein Gegenteil gedacht werden. Das Gegenteil von Vogdt ist: Vogdt.
Kaum ein Buch in seinen Schränken und Regalen, zu dem es keine Zeichnung gäbe oder ein Bild. Interpretation mit einem anderen Stift. Denken in Form und Linien. Jede Zeichnung: Erinnerung an das, was nicht gelebt werden kann. Jedes Bild: Erinnerung an das, was das Leben übrig lässt. Lieblingsfarbe: Rot. Und Rot steht für ...
Vogdt ist ein Gewächs vom Niederrhein — seine Kunst eine weite Landschaft. Weidelandschaft. Leben aus Hinsehen. Müsste Vogdt Pflanze sein,  er wäre eine Kartoffel: Über der Erde Gestrüpp. Unter der Erde das Eigentliche. Delikatesse unter Tage. Weiche Schale, harter Kern. Vogdt ist kein Herdentier. Aber auch als Hirte wär er wohl eine Fehlbesetzung. Vielleicht: Ein Wolf, mit dem keiner tanzt. Einer wie Vogdt ist unzumutbar. Am meisten für sich selbst. „Als Künstler bist du eine Art Insekt.“

 


Auswandern kann ich nur, wenn ich hierbleibe

Zeichnen bringt das Gehirn aufs Papier

„Was du nicht in zwei Minuten erklären kannst, schaffst du auch nicht in zwanzig.“ Ein einstündiges Werkstattgespräch offenbart die Eindimensionalität einer Berufsbezeichnung: Jürgen Vogdt, Künstler. Atelier und Kunstlager: 15.000 Bilder und Zeichnungen: Ein malerischer Lebensnachweis. Vogdts Kunstbegriff hat viel mit Müssen zu tun. Schaffen als „Nicht-Lassen-Können“.  Die Kunst als das Edle? Nix. „Kunst ist Kommunikation.“ Rettung. Fluch. Fertig.

Jeden Tag eine Zeichnung. Jede Woche mindestens ein Buch. („Lesen gehört zur Ernährung.“) Jede Stunde mindestens ein Widerspruch. Jürgen Vogdt, Künstler. Malen ist ein einsames Geschäft. Für die große Masse der Kunstschaffenden bleibt am Ende vom einsamen Geschäft bestenfalls die Einsamkeit. Die vogdt'sche Lesart von Gedankenübertragung: „Zeichnen bringt das Gehirn aufs Papier.“  Vogdts Linien: Grenzlinien. Gedankenstriche. Seine Kunst: Der Versuch einer Emigration ins eigene Land.  „Auswandern kann ich doch nur, wenn ich hier bleibe.“

„Die wollten einen, der quer denkt“ 

Vogdt ist einer von denen, die, gäbe es sie nicht schon, erfunden werden müssten. Der Mann, dessen Zeichnungen und Bilder in Paris, Lissabon, Eindhoven, Arnheim und und und zu sehen waren, erfindet für andere — berät derzeit einen Marktführer in Sachen adsortive Textilien. „Die wollten einen, der quer denkt.“ Eins ist sicher: Den haben sie gefunden.

Jetzt macht sich der Querkopf Gedanken über Unternehmensstrukturen („Kommunikation heißt eben nicht: Befehle erteilen“) und Steppdecken. Auf einem geruchsbindenden Material aus Aktivkohle malt Vogdt Bilder für Raucher. („Immer auf die Leinwand pusten, dann stinkt's nicht so.“) Eine Frage schleicht sich ein: Gehört der Mann nun eingesperrt, oder ist er nur zu unbekannt? Das vodgt'sche Ideal: Im Irrenhaus groß rauskommen. Art brut? Von wegen!

Das Gegenteil von Vogdt

Fragen nach der Kunst stellt man besser nicht. Kunst ist Phantasie im organisierten Zustand. Und die Inspiration? Lesen. Am liebsten amerikanische Krimis. „Erzählung pur und keine Literaturversuche.“ Sagt ein bekennender Joyce-Fan. Na denn: Kein Ding kann ohne sein Gegenteil gedacht werden. Und das Gegenteil von Vogdt ist: Vogdt.

Kaum ein Buch in seinen Schränken und Regalen, zu dem es keine Zeichnung gäbe oder ein Bild. Interpretation mit einem anderen Stift. Denken in Form und Linien. Jede Zeichnung: Erinnerung an das, was nicht gelebt werden kann. Jedes Bild: Erinnerung an das, was das Leben übrig lässt. Lieblingsfarbe: Rot. Und Rot steht für ...

Vogdt ist ein Gewächs vom Niederrhein — seine Kunst eine weite Landschaft. Weidelandschaft. Leben aus Hinsehen. Müsste Vogdt Pflanze sein,  er wäre eine Kartoffel: Über der Erde Gestrüpp. Unter der Erde das Eigentliche. Delikatesse unter Tage. Weiche Schale, harter Kern: k und k und k. Keine künstlerischen Kompromisse. Vogdt ist kein Herdentier. Aber auch als Hirte wär er wohl eine Fehlbesetzung. Vielleicht: Ein Wolf, mit dem keiner tanzt. Einer wie Vogdt ist unzumutbar. Am meisten für sich selbst. „Als Künstler bist du eine Art Insekt.“

Morulas Machete

Sein neuestes Projekt: Morulas Machete. Ein Buch. Klar – einer wie Vogdt ist eben auch Buchmacher mit eigenem Verlag.  Die Gleichung: Buch gleich Kommunikation gleich Lebensqualität.

Vogdt und CIA. CIA ist der vodgt’sche Geheimdienst. Christoph I. Altmann. Bayer. Die Kartoffel und der Leberkäs. Die Geschichte: Altmann schickt Geschriebenes an den Niederrhein. Vogdt: „Da geht was.“

Das Konzept: Kunst und Geschichten. Die Geschichten sind längst da. Jetzt kommt die Kunst. Vogdt holt sie aus dem Internet. Ersteigert Anonymes. Der Baukasten: Hier die Geschichten – da die Internetkunst. Und nach dem Zusammenfügen glaubt niemand mehr an ein vorheriges Eigenleben. Waren die Geschichten nicht immer zusammen mit diesen Bildern? Sind sie nicht zusammen aufgewachsen wie die Kartoffel und der Leberkäs, die sich doch auch nie gesehen haben?

Morulas Machete – auch Plattituden müssen sein – ist halt mehr als ein Buch. Es ist mehr als die Summe von Kartoffel und Leberkäs. Da ist der Erzähler – ein virtuoser Sprachingenieur („Bei meiner Geburt legte ich mir die Nabelschnur um den Hals“) und Jongleur mit destruktiven Kleinigkeiten („Ich beiße gerade vom Leberwurstbrötchen ab, als sie nach dem Salz greift und sagt, dass sie zwei Männer liebe.“) –  und da ist der Regisseur vom niederrheinischen Kartoffelacker, der die Machete zwischen die Buchdeckel presst. Und da beginnt ihr Leben. Auch ein Drachen fliegt schließlich nur, weil er angebunden ist. Gesehen haben sich Vogdt und CIA noch nie. Wozu denn auch. „Du kannst ja schreiben.“ Zur Buchvorstellung würde der Vogdt am liebsten in Laarbruch an der Rollbahn sitzen. CIA sitzt an einem anderen Flughafen. „Nur Verbindung sollte es keine geben.“ Königskinder treffen sich zwischen Buchdeckeln. 

Nach der Machete: Die Alditeppiche. Bambusläufer werden zu Bildträgern. Das Wesen der Dinge: Sie rufen nach Strich und Farbe. Einer wie Vogdt ist radikal. Radikal anspruchslos. Radikal vermessen. Radikal lebenshungrig. Radikal einsam. Radikal unangepasst. Radikal - das kommt von ‘radix’: Die Wurzel. Womit wir wieder bei der Kartoffel wären.

Und wie sieht Vogdt den Künstler: „Grandios gescheitert.“ Bevor man stirbt, die Tür zumachen und alles anstecken. Und die Bilder? „Die wissen doch nicht, dass es sie gibt. Denen ist auch ganz egal, wer sie gemalt hat.“ Vogdt on the rocks. Eiskalt serviert.

Fazit: Es braucht mehr als zwei Minuten, eine Kartoffel zu exhumieren.

Morulas Machete ist im Verlag für Kultur und Technik erschienen. ISB Nummer 978 – 3 – 932026 – 00 – 3.

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