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Inhalt:
Play — eine Rede
Kartoffelfeuer
Rot Laura lag auf der Matratze,
auf dass man ihr die Haut abkratze
und sie darauf im Wasser koche.
Kartoffeln – das Rezept der Woche.
Knusprig gebraten die Celina
mit Reis und Hundeschwanz in China.
Agata, Agnes – ihre Schwestern
sind – sei’n wir ehrlich – Schnee von gestern.
Kartoffeln gibt’s von A bis Z
Alma, Zuri Oral – auch nett.
Die meisten haben Frauennamen.
Man weiß nicht, wie sie dazu kamen.
Manchmal gut Deutsch, manchmal exotisch -
der Züchter hofft, das klingt erotisch.
O Dagmar, Dalco, Dalia,
Schantal, Beate, Barbara,
oh, Marlies, Senta, Holy Momm,
macht, dass ich in den Himmel komm
und Petrus an der Türe seh’
mit einem Teller voll Püree.
Im Fegefeuer Gundula
und in der Hölle Kaviar.
In den letzten Tagen habe ich an die zehn Reden erfunden – habe an
Ideen für Sagbares gefeilt. Wirft man die Gedanken in eine
Redenzentrifuge und be¬ginnt mit der Rotation (dieses Bild stammt von
Martin Walser), beginnen sich Partikel an der imaginären Wand des zu
Sagenden abzusetzen. Zuerst die Leichtgewichte – später die
Gedankenbrocken.
Das erste Wort an der Zentrifugenwand: Fallschirm. Eine Rede ist wie
ein Fallschirm. Man hofft auf die sichere Landung am Ende.
Position: Ich habe gelernt, dass in Bezug auf die bildende Kunst oft
von Positionen gesprochen wird. Positionen sind für mich etwas, das bei
Satellitennavigation herauskommt. Position meint eine Art Standpunkt.
Standpunkte können waffen¬scheinpflichtig sein. Sie dienen
schlimmstenfalls zur Schubladi-sierung eines Ergebnisses. Schubladen
sind nützlich, wenn nicht viel Zeit zum Nachdenken bleibt. Alles, was
über den Rand hinausragt, kann abgeschnitten werden.
Steht man vor einer verglasten Zeichnung, ist der eigene Standpunkt der
Wichtigste. Je nachdem, wie einer dasteht, sieht er sich selbst im
Glasrahmen. Oder er sieht einen Raum auf der Gegenseite des Bildes.
Oder aber das Bild selbst: Unverstellt. Unverspiegelt. Es zählt also
der eigene Standpunkt. Die Devise: Selbstfindung im Bild. Ein Bild
bleibt stumm, wenn du dich nicht darin findest. Wer nur andere im Bild
sucht, macht wenig Erfahrung beim Hinsehen. Wer sich nicht einlässt,
bleibt ausgegrenzt. Rutscht ab auf der äußeren Haut der Zwiebel. Was
nottut ist eine gehörige Portion subjektiver Wahrnehmung. Ein Bild lebt
nicht von der Bedeutung, die es für andere hat. Das Bild ist der, der
es sich ansieht. Es muss nicht gefallen, aber sprechen muss es. Die
Beziehung zu einem Bild, zu Literatur, Musik – die Beziehung zur Kunst,
ist für mich eine Liebesbeziehung. Manchmal natürlich auch eine
Hassbeziehung
Erwartung. Als Komponist habe ich oft erlebt, dass Menschen sich von
moderner Musik allein gelassen fühlen. Das kann viele Gründe haben.
Einer der häufigsten ist Folgender: Die Erwartung. Wenn ich Melodie
erwarte und nur Klang bekomme, entsteht ein Un-gleichgewicht - eine Art
von vor¬pro¬grammiertem Er¬wartungsvakuum. Kunst beansprucht nicht
viel: Eine offene Annäherung ist das erste Gebot. Sonst ist der Blick
verstellt – die Ohren sind verkleistert.
Geschichten: Es ist erstaunlich, was Geschichten oder Titel bewirken.
Sie sind eine Art Inhaltsersatz. Man denkt einen Titel und muss das
Eigentliche nicht mehr suchen. „Dance or die“ – der Titel einer
Zeichnung, die unmittelbar nach der Love-Parade-Katastrophe entstand.
Der Titel erzeugt eine Spannung – taucht die Zeichnung in die Aura des
Katastrophalen. Aber so viel steht fest: Die Zeichnung könnte auch mit
einem anderen Titel bestehen – nur würde auf der inneren Leinwand des
Betrachters ein anderes Nebenbild entstehen. Titel erzeugen Nebenbilder
– Phantomtreppen ins Sehen.
Vogdt: Jürgen Vogdt war mein erster lebender Künstler. Ich kroch
aus dem Kulturgänseei und traf auf Vogdt. Er lehrte mich das Hinsehen,
das Wegdenken. Er hat in mir den Habenwollengedanken installiert. Ich
sah Bilder und wollte sie haben. Der Grund: Vogdts Bilder
verstanden mich. Sie kannten mich längst. Seitdem ist Vogdts
Kunst Teil meiner Insel, die nicht immer die Insel der Seligen ist,
denn es wäre zu wenig, wenn Kunst nur unser Wohlfühlen dekorieren
würde.
Vogdt sagt: Meinen Bildern ist egal, wer sie gemalt hat. Vogdt sagt
auch: Lesen ist ein Teil meiner Ernährung. Jeden Tag eine Zeichnung.
Jede Woche mindestens ein Buch. Jede Stunde mindestens ein Widerspruch.
Oder: Zeichnen ist wie Klavierspielen. Du musst täglich üben.
Ich sage: Vogdt ist einer, den man – gäbe es ihn nicht schon – erfinden müsste.
Lieblingsfarbe: Rot. Vogdt sagt: Das hat nichts zu bedeuten. Man kann das auch anders sehen.
Vogdts Titel sind Teil seiner Kunst. Nicht Teil einer Ge¬schichte.
Vogdts Titel sind nicht wirklich Hilfestellungen. Sie deuten
bestenfalls auf einen Entstehungsimpuls hin – sind aber eigentlich
schon wieder eine Art Zweitkunstwerk fernab einer sinnvollen Erklärung.
Manchmal sind sie eine Umleitung, die den Künstler vor sich und anderen
schützt. Vogdts Zeich¬nungen: Innenansichten. „Zeichnen bringt Gehirn
auf Papier.“
Vogdt ist ein Luftballon auf der Suche nach Stecknadeln: Zustechen.
Luft raus. Abwarten. Er pumpt sich wieder auf. Ein Stehaufmännchen.
Nach außen. Innen arbeitet ein empfindlicher Seis¬mograph, der – abseits von der eigenen Erschütte¬rung – Schwingungen aufspürt.
Dass Vogdt hier und heute ausgestellt wird, hat mit Vergangenheiten zu
tun – es hat zu tun mit der Tatsache, dass vor 30 Jahren Hans van der
Grinten Vogdt ausstellte. Warum also nicht ein Wieder-Sehen
installieren? Das war der Wunsch. Das, und eine höchst subjektive
Freude an der Kunst von Jürgen Vogdt, der auf die Frage, was für
ein Gewächs er gern wäre, einmal sagte: „Kartoffel.“
Kartoffel.
Das trifft es. Überirdisch ungenießbares Gestrüpp, das bestenfalls zum
Abbrennen taugt – unter der Erde die Knolle. Das Eigentliche. Wer zum
Vogdt will, muss sich eingraben können. Muss hinter vordergründiger
Leichtigkeit das Dunkel aushalten oder hinter vorgeschobener Düsternis
ein ungeschütztes Leben. Über der Erde: Gestrüpp. Unter der Erde das
Eigentliche.
Delikatesse unter Tage. Weiche Schale, harter Kern. Vogdt ist kein
Herdentier. Auch als Hirte wär er wohl eine Fehlbesetzung. Vielleicht:
Ein Wolf, mit dem keiner tanzt. Einer wie Vogdt ist unzumutbar. Am
meisten für sich selbst. „Als Künstler bist du eine Art Insekt.“
Fehlt noch: Musik
Play - Dreizehn Szenen zur Kunst eines Freundfeindes, denn Vogdt ist
mir beides. Die Musik – keine Illustration von Einzelnem, sondern
klangliche Zusammenfassung eines Gesamteindrucks: Eine Rede in Klängen.
Ein Fallschirm, der sich – hoffentlich - öffnet. Vogdt wäre nicht
Vogdt, wenn er nicht seinerseits schon wieder auf die Klänge reagiert
hätte. Die Frage nach Huhn und Ei dürfte gestellt werden und zu keinem
Ergebnis führen, denn Vogdts 13 Blätter zu den 13 Szenen könnten
genauso gut auch vor der Musik entstanden sein. Es würde nichts ändern
– außer vielleicht die Eindrücke auf der inneren Hilfsleinwand von
Titeln und Geschichten.
Vogdt hätte gern einiges aus meiner Sammlung zurück: Das Problem: Er
kann es sich nicht leisten. Sammler sind grausam. „Fälsch dir einen
Vogdt“, sage ich. „Dafür bin ich nicht gut genug“, sagt er. „Kauf dir
einen Vogdt“, sage ich. „Kann ich mir nicht leisten“, sagt er. „Pech
gehabt“, sage ich.
Play — Ausstellungstext
Play – Geschichte einer Ausstellung
Was sind schon dreißig Jahre, wenn Papier geduldig ist? Gibt es
Zufälle? Was ist ein guter Grund? Im Museum Katharinenhof
Kranenburg findet sich ein Heft im DIN-A-4-Format. Es enthält – mit
Schreibmaschine (ab)geschrieben – die Reden, die Hans van der Grinten
zu Ausstellungs-eröffnungen hielt. Auf dem Einband steht: „Ansprachen –
Ausstellungen – Katharinenhiof – Kranenburg“. Die zweite Rede wurde
anlässlich der Ausstellung eines gewissen Jürgen Vogdt gehalten. Es war
das Jahr 1980. Papier ist geduldig. Im letzten Jahr tauchten die Reden
– es gibt keinen Zufall – plötzlich auf. Meine Frau brachte sie von
einem Konzert im Museum mit. Sie hatte das Heft durchgeblättert und die
„Vogdt-Rede“ gefunden.
Meine Damen und Herren!
„Play“ begann mit einem Satz: „Hier, guck mal. Das wird dich
interessieren.“ Und ob es das tat. Jürgen Vogdts erste Ausstellung im
Katharinenhof fand vor dreißig Jahren statt. (Papier ist geduldig.)
Dreißig Jahre sind ein guter Grund zum Nachfragen.
… mit besonderem Nachdruck hingewiesen wird auf einen Künstler, der aus unserer Region stammt
Ja, lebt denn der noch und wenn ja wo. Die Regel: Ein Niederrheiner
bewegt sich nicht weit. Die Region ist die Welt, und die Welt ist die
Region. Vogdts Weg: Emmerich, Haldern, Labbeck. Das Umzugstriptichon.
Es gibt keine Endstationen, aber man kann sich vorstellen: Vogdt wird –
er ist sechzig – in Labbeck bleiben. („Auswandern kann ich nur, wenn
ich hierbleibe.“) Die letzte Vogdt-Ausstellung liegt ein paar Jahre
zurück. („Es hat sich nichts ergeben.“)
… Das ist einmal eine Folge der sicherlich klugen Zurückhaltung, der
lieber eine deutliche Präsentation abwartet, als sich mit vielerlei
Veranstaltung zu verzetteln …
„Ich könnte doch mal in Kranenburg nachfragen. Dreißig Jahre sind
ein guter Grund.“ „Das tu mal.“ So begann „Play“. Ich tat mal. Papier
ist geduldig.
Man legt Spuren aus. Wer kennt wen? Wer könnte helfen? Jede Frage
braucht den richtigen Augenblick; einen guten Grund; den richtigen
Frager. Also: „Da hat vor dreißig Jahren mal einer ausgestellt bei
euch. Der lebt noch. Der malt noch. Den sollte man mal wieder
ausstellen. Der würde auch gern. Der friert sonst fest in seinem
Atelier. Wie wär’s?“ Bedenkzeiten. Nicht nur Papier ist geduldig.
Trotzdem: Irgendwann kommt eins zum anderen. „Ja, das könnten wir uns
vorstellen.“ Mal hinfahren. Eine Atelierbesichtigung. Und dann: Man
kann es sich vorstellen.
Die Papiere in den Schränken: Geduldig. Darauf haben sie gewartet.
Jetzt werden sie geborgen. Eine Ausstellung entsteht. Es ist wie ein
riesiges Puzzle. Das Kommando: „Play!“ Sehweisen. Sichtweisen.
Standpunkte. Liegenschaften. Die Auswahl. X aus vierzigtausend: Play!
Die Ausstellung: Ein fragiles Etwas ohne Anfang. Ohne Ende. Dann – beim
Sichten der ersten Schublade – wie eine Botschaft aus dem Papier: Ein
Blatt mit dem Titel „Play“. Vorher die Idee: „Jürgen Vogdt – dreißig
Jahre in Blei“, oder „Frauen, Bücher, Wunden“. Dann nur noch das
Einwortprojekt: „Play!“ Herrlich lapidar. Muss so sein. Papier
ist nicht geduldig. Dreißig Jahre sind keine Zeit. Vogdt produziert.
Immer weiter.
Aber sie haben doch einen sehr direkten, manchmal erschreckend direkten Blickcharakter in die Tiefe der eigenen Persönlichkeit …
Vogdt malt Vogdt, auch, wenn er manchmal anderes denkt. Würde Vogdt
nicht Vogdt malen, wär’s auch irgendwie lächerlich. „Meinen Bildern ist
egal, wer sie gemalt hat.“ Den Bildern vielleicht. Allen anderen nicht.
Heiner Frost
Ich kenne mich nicht aus mit der Kunst – kann nur unzulänglich zuordnen
oder einordnen – und bin nicht im Besitz eines allgemeingültigen
Koordinatensystems. Kunst begann für mich mit Jürgen Vogdt. Immerhin:
Sie endet nicht mit ihm. Aber: Vogdt stellt sich im Frostleben
raumgreifend dar. Er stellt sich ein. Ich stelle ihn aus. Zu viel
gesagt: Er stellt sich aus.
Die Sammlung: Ein Bild kommt zum anderen. Ich müsste längst umziehen.
Ein Haus bauen mit Wänden ohne Fenster: Bilderplätze schaffen. Anbauen.
Auch im Kopf. Mithalten. Schritt halten. Beobachten kommt nach dem
Machen. Vogdt in zweiter Instanz.
Ich bin – behaupte ich – nicht mit kriminellen Tendenzen ausgestattet,
tauge nicht zum Betrüger oder Hinterzieher. Vogdtkunst aber kann mich
zum Dieb machen. Ich könnte auf einiges verzichten. Vogdt gehört nicht
dazu. Mitunter habe ich Tauschobjekte anzubieten, die Geld überflüssig
machen. Geld ist eine Form der simulierten Wertschätzung aus Notwehr.
Falsch: Die Wertschätzung ist nicht simuliert. Notwehr ist es auch
nicht. Geld ist also die Verschiebung der Wertschätzung auf eine andere
Ebene. Von Bewunderung allein kann kein Künstler auf die Dauer leben.
Vogdt malt. Frost komponiert. „Gibst du mir Bilder, mach ich dir Töne.“
Vogdt liebt Texte, die zur Sache kommen. Literatur ist nicht Erzählung.
Nicht Bespiegelung. Bespiegelung ist Theorie. Zu wenig am Schund
gebaut. Literatur ist für Vogdt eine Überlebensapotheke. Vogdts
Hausbücherei: Türme von Krimis, Blut, Leichen, Abgründen. Meine Texte
dagegen: TeDe. Typisch deutsch. Verquast. Um Ecken geschrieben.
Trotzdem: Vogdt wünscht sich einen Frost-Text für die Ausstellung. Kein
Problem, Jürgen. Kannst du haben. Ich schreibe wie ich denke, dass du
malstzeichnesterfindest. Ist Vogdt Maler? Ist Vogdt Zeichner? Wer soll
das bestimmen? Ich nicht. Vogdt ist mir Erfinder einer ästhetischen
Welt, die sich aus ihrer Umwelt speist. Einer wie Vogdt atmet Leben ein
und Kunst aus. Vogdts Kunst ist gemalt, gezeichnet, gedacht,
geschrieben, verloren, verwundet, verwundert, verbrannt, vergessen. Zu
klären ist die Frage: Reagiert Vogdt auf die Welt oder ist es
umgekehrt? Beides wird stimmen. Es richtet sich nach der Tagesform.
Nach dem Verschwinden im Denken. Manchmal wird Vogdtsches Denken auf
dem Papier wiedergeboren. Vogdts Welt ist ein rotes Telefon: Denken und
Handeln sind mit einer Standleitung verbunden. Niemand muss wählen.
Der Maler meiner Bilder ist unbequem – am meisten manchmal für sich
selber. Vogdt sagt: „Meinen Bilder ist es egal, wer sie gemalt hat.“
Ende der Durchsage. Was Leute sich unter einem Text vorstellen, soll
Ausdehnung haben – soll herauswachsen aus der Flachdimension des
Geschriebenen. Buchstabenschmeicheleien sind meine Sache nicht. Ich
liefere Wasserstandsmeldungen mit kurzer Halbwertzeit. Die Kunst an der
Wand ist ein Spiel. Play! Ausstellungen sind eine Art Partitur. Es gibt
kaum Eindeutiges: Nicht in Tönen. Nicht in Bildern. Nicht in Worten.
Ein Höchstmaß an Objektivität ist nur mit radikaler Subjektivität zu
erreichen. Das Reich der Kunst ist ein Reich der Diktatoren. Natürlich
ist Wahrnehmung lernbar. Ich habe einiges vonbeidurchmit Vogdt gelernt.
Trotzdem bin ich nicht mehr als ein Wahrnehmungspraktikant in der
Grundausbildung des Sehens. Ich finde Vogdt in mir und mich in Vogdt.
Vielleicht lasse ich Meisterwerke unbeachtet. Sie sprechen mich nicht
an. Ohne Dialog keine Beziehung. Ich bin nicht auf der Suche nach
Weltbildern.
Vogdt hätte gern einiges aus meiner Sammlung zurück: Das Problem: Er
kann es sich nicht leisten. Sammler sind grausam. „Fälsch dir einen
Vogdt“, sage ich. „Dafür bin ich nicht gut genug“, sagt er. „Kauf dir
einen Vogdt“, sage ich. „Kann ich mir nicht leisten“, sagt er. „Pech
gehabt“, sage ich.
Vogdt taugt nicht für den Markt. Er ist vielleicht zu fleißig. Wert
entsteht aus Rarität. In Vogdts Kunstscheune lagern die Bilder und
Zeichnungen zu Tausenden. Irgendwann – Zahlen spielen keine Rolle –
brannte ihm das Lager aus. Frühvogdt gibt es seitdem nicht mehr. Das
wäre also ein Ansatz: Frühvogdt als unbezahlbare Kunstrarität. Das
Feuer hat kein Gedächtnis. Die Nachbrandzeit: Unverletzt erhalten. In
Schubladen. Kisten. Schränken. Mappen. Die Kunstscheune ist so voll,
als wäre das Feuer nie zu Besuch gewesen. Vogdts Leben besteht aus
Ideen. Alles wird irgendwie zu Kunst. Klar, dass einer wie er auch in
der Werbung landet. Sprücheklopfer, Logo-Erfinder, Kampagnen-Gestalter
– nichts, was er nicht ist.
Die eigene Existenz täglich neu erfinden und dann dem Rest der Welt
ihre Notwendigkeit sinnstiftend verkaufen. Ideenfarbriken funktionieren
so. Es muss Hunderttausende geben, die die das Feuer legen. Am Ende
schwimmen ein paar von ihnen oben. Haben es geschafft. Hat Vogdt es
geschafft? Mal ja. Mal nein. Das Herbeten von biografischen
Erfolgssplittern ist wenig aussagekräftig. Vogdt muss sprechen: An der
Wand. Wer sein Zeug erst erklären muss, hat verloren.
Malen ist Auseinandersetzung mit der Einsamkeit. Mit der Verzweiflung.
Mit dem eigenen Kern. Mit dem Leben der anderen. Mit der Kunst der
Welt. Mit dem Kühlschrank. Mit der Flasche. Mit der Wahrheit. Mit der
Täuschung. Schenk dem Mann ein Buch mit Bildern. Er setzt sich hin und
malt es ab.
Die Frage, was Vogdt ist und kann, entzieht sich meinem
Zuständigkeitsbereich. Rutscht aus meinem Koordinatensystem. Ist er
malender Zeichner oder zeichnender Maler? Ist er zu bunt? Zu
großformatig? Zu kleinteilig? Zu verspielt? Zu streng? Ich bin sicher,
er ist all das. Alles zu seiner Zeit. Vogdt ist einer, der leck
geschlagen werden muss, damit er nicht platzt. Vogdt ist ein Luftballon
auf der Suche nach Stecknadeln: Zustechen. Luft raus. Abwarten. Er
pumpt sich wieder auf. Ein Stehaufmännchen. Nach außen. Innen arbeitet
ein empfindlicher Seismograph, der – abseits von der eigenen
Erschütterung – Schwingungen aufspürt.
Seit ich Vogdt kenne, klingt er. Er klingt anders als er glaubt. Er
klingt manchmal auch anders als ich glaube. Vogdts Klänge sind nicht
verschwenderisch. Vogdts Kunst in Tönen ist eine Melange aus Wahnsinn
und Verschlafenheit. Zu jedem Bild gibt es einen Klang. Klänge sind
transportierbar. Transponierbar. Mir ist jedes Bild ein Ton. Mir ist
jedes Bild eine Rettung. Ich muss nicht nachdenken über diese Bilder.
Ich muss sie nur aufsaugen. Sie sind wie Spieluhren, die schweigend
daliegen und darauf warten, in Gang gesetzt zu werden. Aber die
Spieluhren tauschen des Nachts ihre Töne aus und überraschen am
nächsten Tag mit anderen Melodien. Die Töne wechseln. Die Elegie bleibt
erhalten.
Mit der Zeit habe ich einen kleinen Blick für die Geschichten und
Symbole bekommen, die Vogdt erzählt. Vielleicht sollte ich besser
sagen: Ich finde für Vieles eine Übersetzung. Eine Entsprechung in mir.
Meist ist sie erfreulich weit vom Ursprung seines Denkens verortet. Das
macht nichts. Es geht nicht um Konsens. Es geht um Koexistenz.
Vielleicht auch nicht einmal darum. Es geht um den Hunger nach Farbe,
Strich, Form. Satt werde ich wohl nie. Ein Leben ohne Bilder ist kein
Leben.
Vogdt spricht: Jeden Tag eine Zeichnung. Jede Woche mindestens ein
Buch. (Lesen gehört zur Ernährung.) Jede Stunde mindestens ein
Widerspruch. Malen ist ein einsames Geschäft. Für die große Masse der
Kunstschaffenden bleibt am Ende vom einsamen Geschäft bestenfalls die
Einsamkeit. Die vogdt'sche Lesart von Gedankenübertragung: „Zeichnen
bringt das Gehirn aufs Pa¬pier.“ Vogdts Linien: Grenzlinien.
Gedankenstriche. Seine Kunst: Der Versuch einer Emigration ins
Eigene. „Auswandern kann ich doch nur, wenn ich hier bleibe.“
Vogdt ist einer von denen, die, gäbe es sie nicht schon, erfunden
werden müssten.
Fragen nach der Kunst stellt man besser nicht. Kunst ist Phantasie im
organisierten Zustand. Und die Inspiration? Lesen. Am liebsten
amerikanische Krimis. „Erzählung pur und keine Literaturversuche.“ Sagt
ein bekennender Joyce-Fan. Na denn: Kein Ding kann ohne sein Gegenteil
gedacht werden. Das Gegenteil von Vogdt ist: Vogdt.
Kaum ein Buch in seinen Schränken und Regalen, zu dem es keine
Zeichnung gäbe oder ein Bild. Interpretation mit einem anderen Stift.
Denken in Form und Linien. Jede Zeichnung: Erinnerung an das, was nicht
gelebt werden kann. Jedes Bild: Erinnerung an das, was das Leben übrig
lässt. Lieblingsfarbe: Rot. Und Rot steht für ...
Vogdt ist ein Gewächs vom Niederrhein — seine Kunst eine weite
Landschaft. Weidelandschaft. Leben aus Hinsehen. Müsste Vogdt Pflanze
sein, er wäre eine Kartoffel: Über der Erde Gestrüpp. Unter der
Erde das Eigentliche. Delikatesse unter Tage. Weiche Schale, harter
Kern. Vogdt ist kein Herdentier. Aber auch als Hirte wär er wohl eine
Fehlbesetzung. Vielleicht: Ein Wolf, mit dem keiner tanzt. Einer wie
Vogdt ist unzumutbar. Am meisten für sich selbst. „Als Künstler bist du
eine Art Insekt.“
Auswandern kann ich nur, wenn ich hierbleibe
Zeichnen bringt das Gehirn aufs Papier
„Was du nicht in zwei Minuten erklären
kannst, schaffst du auch nicht in zwanzig.“ Ein
einstündiges
Werkstattgespräch offenbart die Eindimensionalität
einer Berufsbezeichnung: Jürgen Vogdt,
Künstler. Atelier und
Kunstlager: 15.000 Bilder und Zeichnungen: Ein malerischer
Lebensnachweis. Vogdts Kunstbegriff hat viel mit Müssen zu
tun.
Schaffen als „Nicht-Lassen-Können“. Die Kunst
als das Edle? Nix. „Kunst ist Kommunikation.“
Rettung. Fluch. Fertig.
Jeden Tag eine Zeichnung. Jede Woche
mindestens ein Buch. („Lesen gehört zur
Ernährung.“) Jede Stunde mindestens ein Widerspruch. Jürgen Vogdt,
Künstler. Malen ist ein einsames Geschäft.
Für die große Masse der Kunstschaffenden bleibt am Ende vom einsamen
Geschäft bestenfalls die Einsamkeit. Die vogdt'sche
Lesart von Gedankenübertragung: „Zeichnen bringt das Gehirn
aufs Papier.“ Vogdts Linien: Grenzlinien.
Gedankenstriche.
Seine Kunst: Der Versuch einer Emigration ins eigene Land.
„Auswandern kann ich doch nur, wenn ich hier
bleibe.“
„Die wollten einen, der quer denkt“
Vogdt ist einer von denen, die, gäbe es sie
nicht schon, erfunden werden müssten. Der Mann, dessen
Zeichnungen
und Bilder in Paris, Lissabon, Eindhoven, Arnheim und und und zu sehen
waren, erfindet für andere — berät derzeit
einen Marktführer in Sachen adsortive Textilien. „Die
wollten einen, der quer denkt.“ Eins ist sicher: Den haben sie
gefunden.
Jetzt macht sich der Querkopf
Gedanken über
Unternehmensstrukturen („Kommunikation heißt eben
nicht: Befehle erteilen“) und Steppdecken. Auf einem
geruchsbindenden Material aus Aktivkohle malt Vogdt Bilder für Raucher.
(„Immer auf die Leinwand pusten, dann stinkt's nicht
so.“) Eine Frage schleicht sich ein: Gehört
der Mann nun eingesperrt, oder ist er nur zu unbekannt? Das vodgt'sche Ideal: Im
Irrenhaus groß rauskommen. Art brut? Von wegen!
Das Gegenteil von Vogdt
Fragen
nach der Kunst stellt man besser nicht. Kunst ist Phantasie im
organisierten Zustand. Und die Inspiration? Lesen. Am liebsten
amerikanische Krimis. „Erzählung pur und
keine Literaturversuche.“ Sagt ein bekennender Joyce-Fan. Na denn:
Kein Ding kann ohne sein Gegenteil gedacht werden. Und das Gegenteil
von Vogdt ist: Vogdt.
Kaum ein Buch in seinen
Schränken und Regalen, zu dem es keine Zeichnung gäbe oder ein Bild.
Interpretation mit einem anderen Stift. Denken in Form und Linien. Jede
Zeichnung: Erinnerung an das, was nicht gelebt werden kann. Jedes Bild:
Erinnerung an das, was das Leben übrig lässt.
Lieblingsfarbe:
Rot. Und Rot steht für ...
Vogdt ist ein Gewächs vom
Niederrhein — seine
Kunst eine weite Landschaft. Weidelandschaft. Leben aus Hinsehen.
Müsste Vogdt Pflanze sein, er wäre eine
Kartoffel:
Über der Erde Gestrüpp. Unter der Erde das Eigentliche.
Delikatesse unter Tage. Weiche Schale, harter Kern: k und k und k.
Keine künstlerischen Kompromisse. Vogdt ist kein Herdentier.
Aber auch als Hirte wär er wohl eine Fehlbesetzung.
Vielleicht: Ein Wolf, mit dem keiner tanzt. Einer wie Vogdt ist unzumutbar.
Am meisten für sich selbst. „Als Künstler bist du eine Art Insekt.“
Morulas Machete
Sein neuestes Projekt: Morulas Machete. Ein Buch.
Klar – einer wie Vogdt ist eben auch Buchmacher mit eigenem
Verlag. Die Gleichung: Buch gleich Kommunikation gleich
Lebensqualität.
Vogdt und CIA. CIA ist der
vodgt’sche Geheimdienst. Christoph I. Altmann. Bayer. Die Kartoffel und der
Leberkäs. Die Geschichte: Altmann schickt Geschriebenes an den
Niederrhein. Vogdt: „Da geht was.“
Das Konzept: Kunst und Geschichten.
Die Geschichten sind längst da. Jetzt kommt die Kunst. Vogdt holt
sie aus dem Internet. Ersteigert Anonymes. Der Baukasten: Hier die
Geschichten – da die Internetkunst. Und nach dem
Zusammenfügen glaubt niemand mehr an ein vorheriges
Eigenleben. Waren die Geschichten nicht immer zusammen mit diesen Bildern?
Sind sie nicht zusammen aufgewachsen wie die Kartoffel und der
Leberkäs, die sich doch auch nie gesehen haben?
Morulas Machete – auch
Plattituden müssen sein – ist halt mehr als ein Buch. Es ist
mehr als die Summe von Kartoffel und Leberkäs. Da ist der
Erzähler – ein virtuoser Sprachingenieur („Bei meiner Geburt
legte ich mir die Nabelschnur um den Hals“) und Jongleur mit
destruktiven Kleinigkeiten („Ich beiße gerade vom
Leberwurstbrötchen ab, als sie nach dem Salz greift und sagt,
dass sie zwei Männer liebe.“) – und
da ist der Regisseur vom niederrheinischen Kartoffelacker, der die Machete
zwischen die Buchdeckel presst. Und da beginnt ihr Leben. Auch ein
Drachen fliegt schließlich nur, weil er angebunden
ist. Gesehen haben sich Vogdt und CIA noch nie. Wozu denn
auch. „Du kannst ja schreiben.“ Zur
Buchvorstellung würde der Vogdt am
liebsten in Laarbruch an der Rollbahn sitzen. CIA sitzt an einem
anderen Flughafen. „Nur Verbindung sollte es keine
geben.“
Königskinder treffen sich zwischen Buchdeckeln.
Nach der Machete: Die Alditeppiche.
Bambusläufer werden zu Bildträgern. Das Wesen der
Dinge: Sie rufen nach Strich und Farbe. Einer wie Vogdt ist radikal. Radikal
anspruchslos. Radikal vermessen. Radikal lebenshungrig. Radikal einsam.
Radikal unangepasst. Radikal - das kommt von
‘radix’: Die
Wurzel. Womit wir wieder bei der Kartoffel wären.
Und wie sieht Vogdt den
Künstler: „Grandios gescheitert.“ Bevor man stirbt, die
Tür zumachen und alles anstecken. Und die Bilder?
„Die wissen doch nicht, dass es sie gibt. Denen ist auch ganz
egal, wer sie gemalt hat.“ Vogdt on the rocks. Eiskalt
serviert.
Fazit: Es braucht mehr als zwei
Minuten, eine Kartoffel zu exhumieren.
Morulas Machete
ist im Verlag für Kultur und Technik erschienen. ISB
Nummer 978 – 3 – 932026 – 00 – 3.
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